„Liebe zum Leben und Freude am Sein im Mittelpunkt der Lebensberatung“ so lautet der Titel meiner Diplomarbeit. Geschrieben, eingereicht und präsentiert im Jänner 2014.
Vieles hat sich verändert in der Zwischenzeit. Ich darf mich nun Diplomierte Lebens- und Sozialberaterin nennen, habe meinen Teilzeitjob im Gastgewerbe an den Nagel gehängt, wurde von einem Unternehmensgründungsprogramm betreut und fühlte mich darauf vorbereitet, in die Selbstständigkeit zu gehen. Gefühlt, gedacht, getan. Vor zwölf Monaten melde ich das Gewerbe an. Pfeife auf Sicherheit, vertraue, probiere, glaube an mich und meine Ideen.
Vor einem Monat erscheint ein Portrait über mich. „Die Lebensfreude wieder entdecken“ so die Überschrift. Eine Botschaft, die ich in mir trage, eine Idee, ein Glanz, der nach außen scheint.
„Es ist nicht alles Gold was glänzt“ lautet eine Redewendung. Wie ist das bei mir? Bei der Lebensfreude? Gibt es auch hier Dunkelheit, Geheimnisse, Schatten? Ich lasse dich hinter die Kulissen blicken.
Ich präsentiere meine Idee der Lebensfreude, dem Direktor der Body & Health Akademie, meinen Studienkollegen, den Lesern der Tips, den Menschen, die meine Homepage besuchen. Trage den naiven Glauben in mir, dieses Konzept ist für jeden Menschen zugänglich und leicht zu erreichen. Ich krabble unter meinen Schreibtisch, nehme aus einem Karton meine erste Diplomarbeit zur Hand. Sie thematisiert Gefühle, Bedürfnisse und Geisteshaltungen. Auf die Bedürfnisse will ich näher eingehen. Die Lebensfreude befindet sich in der Bedürfnispyramide relativ weit oben. Erinnerst du dich an sie, die Bedürfnispyramide nach Maslow? Er stellt das Streben eines Menschen nach einem erfüllten Leben, nach Anerkennung und Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt.
Die untersten Bedürfnisse haben die höchste Priorität. Hierzu zählen: Essen, trinken, schlafen, atmen, Sexualität. Die Erfüllung führt zu Behaglichkeit, Entspannung und Zufriedenheit.
Weiter geht es mit: Schutz, Stabilität und Ordnung oder anders gesagt der Abwesenheit von Furcht, Angst und Unbeständigkeit. Die Erfüllung führt zu Ruhe, Gelassenheit und Frieden. Sehen wir uns diese beiden Stufen näher an. Bereits hier beginnt meine Idee der Lebensfreude zu wanken. Aus meiner Sicht leben wir in einer Zeit, in der Beständigkeit, Ruhe, Schutz, Frieden und Ordnung in vielen Bereichen schwinden.
Ob Familie, Beruf oder Politik. Schwinden diese Qualitäten, schwindet auch die Idee der Lebensfreude. Ein Blick auf mein eigenes Leben, ein Blick hinter die Kulissen offenbart.
Ich blicke zurück auf die letzten zwölf Monate. Der Erfolg bleibt hinter den Erwartungen, Zusammenarbeit wird abgelehnt oder nicht angenommen, einige Angebote werden aufgrund mangelnder Teilnehmer abgesagt, einige Angebote gehen gut, doch die Einkünfte sind gering. Das Gefühl des Vertrauens weicht dem Gefühl des Zweifels. An mir, an meiner Idee. Der Glaube an Erfolg, weicht der Sicht auf die Realität. Ich beginne Angst zu fühlen. Existenzangst. Spüre die Enge, die Schwere, die Last auf meinen Schultern, meine Gedanken kreisen, ich sehe zu, wie mein Sicherheitsdepot, mein Erspartes schrumpft und schwindet. Nicht weil ich unnötige Ausgaben mache, nein, weil ich mein einfaches Leben bewahren will.
Ich erkenne, dass ich zur Gruppe der HSP (hochsensiblen Menschen) gehöre. Einer Minderheit, die besonders sensibel auf subtile Veränderungen reagiert. Mein Umfeld, die Wirtschaft, das System, den Staat betreffend. Ich fühle die Furcht. Furcht, die einige Menschen erleben, ohne darüber zu sprechen. Fühle die Unsicherheit, die Ohnmacht. Keine Spur von Liebe. Wofür auch? Für ein System, das mich weder beschützt, noch achtet, noch ehrt. Mich als Steuerzahler, als Sozialversicherungsnummer sieht? Fühle die Wut. Die Wut, die auf einer Machtlosigkeit gründet. Sehe mich unten auf der Pyramide stehen, nach oben blickend, ohne einen Schritt zu tun.
Seit einem halben Jahr begleitet mich die Karawane der Freude. Ein Buch von Karl und Jwala Gamper. DelphinWelle, so der Name der Welle, auf der die beiden durchs Leben surfen. Karl war oben, Karl war unten, er wurde von Surfbrett geworfen, lernte das Brechen der Welle kennen, stellte sich seiner Angst. Er war pleite, bankrott, hat an sich gezweifelt, hat sich geschämt.
Die Welle bäumt sich auf, die Welle bricht. Auf eine gute Zeit folgt die Erschütterung, die Veränderung, das Chaos. Beim Rhythmen tanzen spreche ich vom Chaos. An diesem Punkt ändert sich der Rhythmus. Zuerst wird er wild, nicht zu bändigen. Dann wird schnelles langsamer. Intensives wird leichter. Ich kenne dieses Chaos.
Auch ich schäme mich, halte mich für eine Versagerin, überlege, ob ich zu hochmütig durchs Leben ging. Habe den Eindruck „dazu zu gehören“ und „den Idealen zu entsprechen“ gegen das Gefühl „nicht erfolgreich genug“ und „anders zu sein“ getauscht zu haben.
Hier liegt der wunde Punkt. Hier wird die Wahrheit sichtbar.
Ich bin keine Steuerzahlerin, bin keine Sozialversicherungsnummer.
Ich bin ein Mensch. Ich fühle! Ich fühle, welche Ideale vorgegeben werden und erfülle sie nicht.
Zähle mich nicht zu den erfolgreichen Selbstständigen, bin weder besonders sportlich noch besonders attraktiv, trage keinen Ring an meinem Finger, verkörpere keine liebende Mutter, im Grundbuch ist kein Eintrag von mir vorhanden. In den Augen einiger Menschen mag es so scheinen, als habe ich versagt.
Ich erinnere mich. Ich habe einfach andere Prioritäten gesetzt. Ich habe mich entschieden. Entschieden für ein einfaches Leben. Ich erinnere mich. Alles im Leben hat zwei Seiten. Wie ist das in so einer Situation? Hat mir das Leben auch etwas geschenkt?
Oh, ja. Etwas sehr wertvolles und besonderes. Zeit! Sehr viel Zeit sogar.
Zeit, zu reflektieren, Schwächen und Stärken aufzuspüren.
Zeit, mich selbst kennen zu lernen. Zeit, meinen eigenen Rhythmus zu leben.
Zeit, hinter die Fassaden zu blicken, in die Tiefe zu gehen.
Zeit, zu tanzen. Zeit für Geschichten. Zeit für Poesiegrafie. Zeit, mir helfen zu lassen.
Zeit, um auszusortieren, zu ordnen, zu strukturieren.
Zeit, ein Gefühl von Stolz zu entwickeln, für meine Gründlichkeit, Bedächtigkeit, Tiefe, Sensibilität, Einsamkeit.
Zeit für Gemüsebeete. Zeit, die ich gerne in der Natur verbringe. Zeit, um Kontakte zu knüpfen.
Kontakte zu Menschen, die Gemüse anbauen, Getreide ab Hof verkaufen, Nudeln herstellen, Hühner halten, die Wein und Traubensaft nach biologisch dynamischen Richtlinien erzeugen, die Kräuter ernten und trocknen. Menschen, die Tiere respektvoll behandeln. Von diesem Menschen beziehe ich meine Grundnahrungsmittel. Dafür schätze ich sie. Dafür danke ich ihnen. Dafür wende ich Zeit auf. Für Abholung, gelegentlich auch für Mithilfe. Hier lebe ich in meine Idee hinein. Hier zeigt sich, wie wichtig mir Nahrung ist, wie wichtig mir ein verantwortungsvoller Umgang mit den Ressourcen ist. Hier kehre ich zurück zu meinen Wurzeln, lande wieder bei den Grundbedürfnissen.
Ist die beste Zeit nun vorbei? Für mich? Für uns alle? Die Liebe zum und Freude am Leben nur eine Welle, die bricht? Surfkurs beendet, Brett kaputt, zurück zum Start? Ich lande in der Gegenwart. Ich halte inne. Ich stehe vor einer Wahl. Der Wahl, meine Idee zu verabschieden, zu bewahren oder auf einer neuen Welle zu surfen. Wohin sie mich trägt? Wer weiß, vielleicht ans Ufer.