Wo die Seele atmen kann

 

„Wie komme ich am schnellsten aus der Stadt?“ fragt John Muir einen Passanten in San Fransico.

 „Wohin wollen Sie denn?“, entgegnet der Mann.

„Irgendwohin, wo es wild ist“, antwortet Muir.

Seine Reise führte ihn in die Sierra Nevada, in das Yosemite-Tal.

 

Vor 100 Jahren wurde der amerikanische National Park Service gegründet, ein Meilenstein für den Naturschutz. Ein Geschenk für uns Menschen.

 

Die Natur, sie bannt unseren Fokus, sie zieht ihn weg von den Sorgen des Lebens. Die Stimmung wird heller, unser Gehirn kann sich erholen und regenerieren.

 

Es war 1865, als der Landschaftsarchitekt Frederick Law Olmstedt auf das Yosemite Tal blickte und eine Welt sah, die ihm bewahrenswert erschien. Er drängte den Gesetzgeber, die Region unter Schutz zu stellen.

 

„Es ist wissenschaftlich erwiesen“, schrieb er, „dass das gelegentliche Betrachten eindrucksvoller natürlicher Landschaften der Gesundheit und Kraft des Menschen und speziell der Gesundheit und Kraft des Geistes zuträglich ist.“

 

Angeblich hat Olmstedt geflunkert, seine Behauptung gründete sich weniger auf Wissenschaft als auf Intuition. Allerdings eine Intuition mit langer Tradition.

 

Stell dir eine Behandlung vor die keine Nebenwirkungen hat, leicht erhältlich ist, deine geistigen Fähigkeiten steigert – und nichts kostet. Es gibt sie. Geh raus in die Natur!

 

Der Ingenieur Matthew S. Forkin teilt Olmstedts Ansicht und Intuition. Zwei Jahre langt, lebte er in der Wildnis. Heute wohnt er wieder nahe San Fransisco, doch immer wieder zieht es ihn an die kalifornische Lost Coast, wo er sich tarzangleich durch die Bäume schwingt.  „Als Teil der Natur“, sagt er, „bin ich gleichzeitig voller Energie und innerer Ruhe.“

 

Auch mir ist diese Ruhe vertraut. Die Sonne wandert gerade den Horizont hinab, die letzten Strahlen entfalten ihre Kraft und schmeicheln meiner nackten Haut. Ich liege auf der Terrasse der Waldsauna im Sole Felsen Bad. Hier ist FKK Zone. Hier kann sich jeder zeigen, wie Gott ihn schuf. Die schimmernde Wasseroberfläche des Assangteich beruhigt meinen Geist. Die Baumkrone der Eiche dicht über mir, spendet Schutz und Schatten. Ich weiß um die Kraft der Natur, liebe es, Zeit in ihr zu verbringen. Von Kindesbeinen an war sie mein Abenteuerspielplatz und meine Oase des Friedens.

 

Beim Auskundschaften des Iron Curtain Trails fahre ich oft auf unbefestigten Straßen, auf Wegen abseits der Zivilisation. Über Hügel und Wälder gleitet mein Blick. Meine Augen werden von der Macht der Harmonie zur Ruhe bracht.

 

„Bäume, fließendes Wasser oder Berge in friedlicher, natürlicher Umgebung wahrzunehmen, verlangt kein gewolltes Bemühen. Das erlaubt dem Gehirn, die Aktivität herunterzufahren – und so seine Fähigkeit zur unwillkürlichen Aufmerksamkeit zu regenerieren.“

 

Wildnis braucht das Hirn. Der Leitartikel der Nation Geographic Serie „Nationalparks der Welt“ verbreitet eine für mich interessante These.

 

Berge, Bäume, Wasser: Forscher sind sicher, dass die Natur das beste Heilmittel für unser strapaziertes Denkorgan ist.

 

„Die Fähigkeit uns willentlich auf etwas Bestimmtes zu konzentrieren und Ablenkung zu ignorieren, hilft uns Probleme zu lösen. Doch das moderne Arbeitsleben fordert oft mehr Konzentration, als wir dauerhaft aufbringen können. Die Folge sind geistige Ermüdung und der Verlust von Effektivität“, ist sich David Strayer, Psychologieprofessor an der Universität von Utah, sicher. Sein Spezialgebiet: Aufmerksamkeit.

 

Die Sonne zieht ihre Kraft zurück, das Saunatuch wirkt wie ein Fremdkörper auf meiner Haut. Nacktheit. Natürlichkeit. Offene Poren. Meine Sinne sind in Kontakt mit der Natur. Aufnahmebereit. Absichtslos. Aufmerksam. Über Stunden bin ich einfach dagelegen. Von einer Runde Schwimmen und der Konzentration auf die Füllfelder in meiner Hand mal abgesehen.

 

Und, ich gestehe, mich braucht weder Wissenschaft noch Intuition, noch Tradition zu überzeugen, ich kann die Kraft der Natur fühlen. Immer schon.

 

Beim Blättern im Nation Geographic bemerke ich noch etwas: ein Bild. Eine abgekämpfte Frau blickt mir entgegen, sie bahnt sich gerade einen Weg durch die Wildnis. Sarah Marquis ihr Name. Abenteurerin ihr Beruf. Für Nation Geographic berichtet sie von ihrer 20.000 Kilometer langen Reise von Sibirien bis Australien. Zu Fuß.

 

Ich füttere Youtube mit ihrem Namen. Öffne das erste Video. „Hi, i`m Sarah Marquis and i`m an adventure.”

 

2 Jahre hat sie sich auf die Abenteuertour vorbereitet.

2 Jahre Vorbereitung, um letztlich ins Unbekannte hineinzuspazieren.

 

Sie beschreibt es so: „ An adventure for me is chasing a vision.  It took me 6 month of walking to physically adapt. That’s also how long it takes, to declare my mind.

 

You`ve got the voice of your family going through, of your friends and then you`ve got this amazing moment, when one day you wake up and all that is gone.

 

You are in the moment and this is sharp, it is clear and things are really focused. And you feel this belonging to the planet.”

 

Zu Fuß. Sibirien bis Südaustralien. Respekt.

 

Eine Abenteurerin, drei Jahre zu Fuß, 20.000 Kilometer.

Ein Landschaftsarchitekt, eine Intuition mit langer Tradition, ein Meilenstein für den Naturschutz.

Ein Ingenieur, zwei Jahre Wildnis, Tarzan erwacht.

Eine Waldviertlerin, ein Sommer, 12 Etappen Iron Curtain Trail. Momente, in denen meine Seele atmen kann.